
Ohnmacht
Wir sind seit einigen Tagen auf unserer Reise Richtung Deutschland. Wir haben uns dafür entschieden, die ca. 2800 km ganz gemütlich zu genießen, fahren täglich nicht mehr als 200 km und suchen uns für den Rest des Tages und die Nacht einen schönen Stellplatz in der Natur.
Kurz vor der deutschen Grenze haben wir dann keinen kleinen Stellplatz gefunden und die Nacht neben einem Freizeitbad mit ca. 30 weiteren Campern, dicht an dicht verbracht.
Unsere Nachbarn für diesen Tag sind ein deutsches Pärchen ca. 40 mit zwei wundervollen Töchtern (vielleicht 3 und 4 Jahre alt). Wir beide lieben Kinder und ich freue mich auf etwas Lebendigkeit.
Nach kurzer Zeit stellt sich raus, dass die Erwachsenen einen Umgang mit den Kindern haben der mir wirklich weht tut. Wir stehen ca. 2 Meter auseinander und hören jedes Wort ob wir es wollen oder nicht. Es ist ein wirklich heißer Tag und ich höre den Papa am Abend, während der „zu-Bett-geh-Routine“ genervt zu den Mädels sagen, „guck mal wie ich schwitze, ich will auch endlich mal Feierabend haben“. Die beiden sind noch putz munter und Papa am Ende seiner Kräfte durch die „harte Arbeit“ mit den Kids. Ununterbrochen wird den Beiden vorgeschrieben was sie wann und wie zu machen haben. Wenn Tränen rollen werden diese mit Druck und einem Countdown unterbunden, die Hände gehören bei essen auf den Tisch und nun mach doch endlich Mal dies und auf keinen Fall das und sei doch bitte nicht so. Ich höre die ganze Zeit „du bist falsch, du bist falsch, du bist falsch“.
Ich möchte schreien! Ich bin wieder massiv im Urteilen! Ich möchte gerne helfen, den beiden wundervollen Kindern UND den Eltern. Doch wie? Und wer bin ich, mir nach wenigen Stunden nebeneinander ein Urteil zu erlauben. Aber es gibt auch diese klare Stimme in mir die mir sagt, es geht hier nicht um RICHTIG oder FALSCH. Der Umgang ist übergriffig! Nicht körperlich aber psychisch. Ich fühle mich ohnmächtig.
Was kann ich tun? Klugscheißern und schlaue Ratschläge verteilen bringt uns auf keinen Fall näher. Ich sehe, dass die beiden ihre Kinder lieben und es einfach nicht anders kennen. Vermutlich wurden sie in ihrer Kindheit genau so beschnitten und herumkommandiert und geben weiter was sie erfahren haben. Ich habe tiefes Verständnis dafür! Doch ich wünsche mir, dass wir alle aus diesen alten Mustern ausbrechen und unsere Kinder freudvoll begleiten anstatt sie angestrengt zu erZIEHEN.
Ich suche das Gespräch mit den beiden Großen um sie ein bisschen kennenzulernen und es entfaltet sich ein offener, zugewandter Austausch. Neben ein wenig Smalltalk berichte ich von den Erfahrungen unserer Reise und wie leicht sich das Leben anfühlen kann, wenn es fließen darf. Ich hab keine Ahnung, ob unser kurzes Begegnung etwas bewirkt hat, vielleicht nicht. Und doch hat es sich gut angefühlt, auf die Beiden zuzugehen anstatt sie aus der Entfernung zu verurteilen, scheiße zu finden und mich abzuwenden.
19. October 2022
Danke, Robert, fürs Teilen. Bin gerade auf deinen Artikel gestoßen und freu mich, deinen wachen Blick verfolgen zu dürfen. Liebe Grüße, Sabi